this post was submitted on 16 Jan 2024
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Problem: Jemand hat richtig schlimme Dinge getan, sagen wir mehrfacher Mord. Was tun?
Option 1 ist schlimm, man bringt ggf die falsche Person um. Option 2 ist eventuell Jahrzentelange Isolation und teuer. Option 3 führt bei fast jedem zu einem Ungerechtigkeitsgefühl.
Was ist die Lösung hier? (Ich weiß es nicht, ernst gemeinte Frage).
Option 2 oder 3, 1 sollte aufgrund der Möglichkeit von Fehlurteilen gar nicht zur Debatte stehen. Bei allem was nicht lebenslänglich mit Sicherheitsverwahrung ist besser Option 3, da nicht Gerechtigkeitsgefühl und Bestrafung, sondern Rehabitilation das Ziel sein sollte.
Muss eine Gesellschaft jede Person rehabilitieren? Wie könnte das bei jemandem wie Breivig aussehen? In Extremfällen glaube ich dass eine Rehabilitation mehr gesellschaftlichen Schaden als Nutzen anrichtet, weil die Bestrafung auch Teil des ganzen Rechtssystems ist.
Kommt darauf an, was das Ziel des Rechtssystems ist.
Wenn man das persönliche Unrechtsempfinden befriedigen will, kann man argumentieren, dass man Leute nicht rehabilitieren sondern bestrafen sollte.
Wenn man Kriminalität reduzieren will scheinen so ziemlich alle Studien zu zeigen, dass Rehabilitation besser funktioniert.
Zumal ein rehabilitiertes, nützliches Mitglied der Gesellschaft idR auch deutlich wirtschaftlicher ist als lebenslange Haft auf Staatskosten.
Eine Gesellschaft muss akzeptieren, dass Straftäter ein Teil von Gesellschaft und Menschsein ist. Die Gesellschaft muss sich von Straftätern unterscheiden in dem sie nicht leichte Lösungen für Probleme sucht wie diese Straftäter es getan haben. Die Todesstrafe ist staatlich sanktionierter Mord ohne Notwehr, wenn man es aus finanziellen Gründen macht ist es Mord aus niederen Beweggründen. Da haben wir über Fehlurteile und systemische Benachteiligung bestimmter Gruppen in der Gesellschaft noch nicht geredet.
In meinen Augen führt die Todesstrafe zu einer Verrohung der Gesellschaft, weil sie das Leben von Straftätern minder bewertet als das von andern Menschen. Es führt die Idee ein, dass Menschenleben unterschiedlich viel wert sein können, dass jemand wie Breivik vielleicht garkein Mensch mehr ist. Das ist die Büchse der Pandora und hilft nicht bei der Verhinderung von Straftaten wenn sich jeder sagt "ich bin kein solches Untier, also werde ich auch nie straffällig" statt sich zu fragen "wenn dieser Mensch so abgerutscht ist, wie stelle ich sicher dass ich nicht abrutsche". Die Frage ist allerdings unbequem.
Als Schöffin habe ich Menschen erlebt, die schwere Straftaten begangen haben, die sich selber das nicht zugetraut haben und auch niemand sonst hat ihnen das zugetraut. Die Decke der Zivilisation ist über uns allen erschreckend dünn, auch wenn ein Breivik natürlich das absolute Extrembeispiel ist, gegenüber der Frau die sich von ihrem Mann bedroht gefühlt hat, ins Auto flüchtete, der Mann sprang auf die Motorhaube und sie hat nicht angehalten bis er runter gefallen ist und sie ihn überrollt und getötet hat. Breivik kann man halt schwerer nachvollziehen, aber die Frau wurde auch wegen Mord verurteilt. Wieviele Menschen muss man deiner Meinung nach umbringen und wie um die Linie zu überschreiten wo man als Strafe getötet wird oder in den Steinbruch muss? Würdest du die Todesstrafe selber vollziehen wollen oder ist das etwas, dass du gerne delegierst, schwingst du freiwillig die Peitsche im Steinbruch? Was denkst du macht das mit den Aufsehern im Steinbruch oder mit den Henkern, die die Todesstrafe vollziehen? Würdest du wollen dass deine Kinder den Beruf des Steinbruchaufsehers oder des Henkers ergreifen?
Mein Rat an jede /n geht zu Gerichtsverhandlungen als Zuschauende. Ich habe als Schöffin eine Menge über Menschen gelernt, auch über mich selbst.
Wer glaubt eingesperrt und seiner persönlichen Freiheit beraubt zu sein sei keine Strafe, der hat sich mit der Situation eines Gefangenen nicht wirklich beschäftigt. Es ist selbst im besten und humansten Gefängnis eine Strafe, speziell für einen Egomanen wie Breivik, der dann auch noch wegen seiner Gefährlichkeit spezielle Isolation erfahren muss und die Aussicht auf unbefristeten Aufenthalt dort ist zusätzlich eine Strafe.
Bestrafung funktioniert nur bis zu einer gewissen Grenze. Darüber ist dir dann nach einer Straftat alles egal, weil länger wie lebenslänglich oder toter wie Todesstrafe geht halt nicht und Täter wie Breivik fürchten weder Strafe noch Tod oder denken über so was eh nicht nach. Länder mit Todesstrafe haben meist mehr, nicht weniger schwere Straftaten.
Wichtiger ist die Situation der Opfer anzuerkennen und der Angehörigen und sich dem wesentlich mehr zu widmen als dem Täter, daran mangelt es in allen Ländern, auch in Finland. So lange "du Opfer" noch ein Schimpfwort ist, läuft da was falsch.
Wichtiger ist es Straftaten zu verhindern, zum Beispiel in dem über häusliche Gewalt aufgeklärt wird und Hilfsangebote gemacht werden, für Opfer und Täter übrigens. Auch müssen wir darüber mehr reden, dass Gewalt nicht erst anfängt wenn geschlagen wird. Menschen fit machen sich frühzeitig Hilfe zu suchen und so vieles mehr.
Dein Augenmerk sollte darauf gerichtet sein, wie man eine Gesellschaft stark macht um so wenig Breiviks wie möglich zu haben, das fängt nicht im Gerichtssaal an, da landen wir wenn es zu spät ist. Was wir dann noch tun können ist uns um die Leidtragenden adäquat zu kümmern und die Schuldigen menschlich zu behandeln und die Rehabilitation nicht aus den Augen zu verlieren, während wir die Gesellschaft vor ihnen beschützen.
Das ist ja gerade ein Fall von Höchststrafe + Sicherheitsverwahrung, sprich das gehört zu den Fällen, wo dann eh wohl nix mehr mit Rehabitilation ist und dementsprechend auch Option 2 gewählt werden kann.
Sobald jemand in die Sicherheitsverwahrung geht, ist zumindest in DE das "Abstandsgebot" zu beachten.
Aufgrund der nicht vergleichbaren verfassungsrechtlichen Legitimationsgrundlagen (Freiheitsstrafe=Sanktion für begangene Straftaten, Sicherheitsverwahrung=dient allein dem Zweck der Vorbeugung von künftigen Straftaten) ist es erforderlich, dass zwischen der Ausgestaltung des Freiheitsentzugs im Rahmen der Sicherungsverwahrung im Gegensatz zum Freiheitsentzug im Rahmen des Strafvollzuges einen deutlichen Unterschied zu wahren.
Option 2 für Sicherheitsverwahrung erfüllt (ohne jetzt darüber zu sinnieren, ob Option 2 in DE überhaupt so bei Freiheitsstrafe durchgezogen werden dürfte) jedenfalls nicht verfassungsrechtliche Standards.
Option 3. Ganz einfach weil das System allgemein am Besten funktioniert. Beste Ergebnisse für die Gesellschaft als Ganzes überwiegt Vergeltung bei Weitem.
Ich möchte an dieser Stelle einfach darauf hinweisen, dass Kosten kein Argument für sondern gegen eine Todesstrafe sind. Jede Hinrichtung kostet den Staat teilweise das 3,2 fache (z.B. in Oklahoma) einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
Grund dafür sind die Kosten des Todestraktes aber vor allem der juristischen Sicherheiten, die die Hinrichtung Unschuldiger verhindern sollen und die während der durchschnittlich 15 Jahre dauernden Haft vor der Hinrichtung das Justizsystem zusätzlich belasten.