Ich hoffe mal ich bin hier richtig. Ich suche Meinungen von Menschen außerhalb meiner Bubble und ihr seit mir als erstes eingefallen.
Kurzer Kontext:
Ich wohne in einem (recht konservativen) Dorf in Sachsen (Region Erzgebirge). Religion ist für viele ein Thema, speziell mein Freundeskreis ist nahezu vollständig in der evangelischen Landeskirche vertreten. Fast alle nehmen das auch sehr ernst, man hilft bei der Kinderbetreuung, bereitet Kurrende (Kinderchor) vor, plant Flohmärkte, etc. Das führt zu einem sehr netten sozialen Miteinander, wobei Religion und Glauben verbindet. Die meisten Familien sind zwischen 30 und 35 Jahren und haben etwa 2-3 Kinder.
Meine Frau und ich sind vor etwa einem Jahr aus der "Stadt" zurückgekommen und fühlen uns wohl hier. Bei den meisten Themen kommen wir auch auf einen grünen Zweig. Ein Thema, das immer wieder hochkocht ist "Gender". Gemeint ist die ganze Bandbreite von Geschlechteridentitäten, Sprache ("Gendern"), am Rande auch sexuelle Präferenzen (Homosexualität, etc.).
Jetzt treffen wir uns einmal in der Woche und quatschen über schwierige Themen. Das oben genannte ist aktuell dran. Da hauptsächlich Meinungen Pro "klassischer" Geschlechtereinteilung, sowie auch viele Ängste/Befürchtungen vor der Genderthematik vorliegen, wollte ich gern mal hier nachfragen, ob ihr ein paar gegensätzliche Meinungen/Argumente bringen könnt. Wir würden die dann mal durchgehen und vielleicht kann ja die eine oder andere Befürchtung oder Vorurteil widerlegt werden.
Konkrete Fragen (die sind sehr polemisch/übertrieben, dies dient nur dem Zweck der Verdeutlichung der Frage)
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Warum muss das Thema "Gender" überhaupt gepusht werden? Gibt es keine größeren Probleme?
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Warum wird bei der Sprache angefangen und nicht Zeit/Geld in konkretere Maßnahmen gesteckt um mehr Akzeptanz für Menschen außerhalb des klassischen Spektrums im Alltag zu erreichen?
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Warum herrscht so ein riesiges Durcheinander (gefühlt entsteht jede Woche eine neue Geschlechteridentität)?
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Warum gibt es zig verschiedene "Sprech-/Schreibweisen" für das korrekte Gendern? Warum wird nicht erstmal ein einheitlicher Standard erarbeitet, der dann allgemein verwendet wird?
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Was wird getan um (insbesondere Kinder) vor Verwirrung zu schützen? Damit ist gemeint, dass die Gefahr besteht, dass ein Nicht-Festlegen auf eine Identität einen tieferen Selbstfindungsprozess verhindern könnte ("Mach was du willst, du musst nichts entscheiden, du kannst alles noch nachträglich ändern" -> kein festes "Fundament" für Persönlichkeit)
Ich würde mich sehr über Antworten oder auch Referenzen zu Resourcen etc. freuen. Bitte bleibt freundlich.
Erstmal: hier, ein Upvote von mir :)
Ich finde es echt super, dass du dir über das Thema so viele Gedanken machst und diese auch so gut formuliert und schön formatiert hier postest. Genau durch sowas kann man seinen Horizont erweitern!
So einen ähnlichen Post (nicht die exakt selbe Thematik) hab ich auch mal auf Reddit (CMV) gemacht. Der wurde sehr kontovers diskutiert, aber am Ende bin ich dadurch viel informierter rausgekommen und habe meine Meinung zu dem Thema stark verändert.
Vielleicht schaffen es die Kommentare hier auch :)
Also, zu deinen Fragen.
Es gibt immer größere Probleme, ja. Aber das ist keine Ausrede, um sich nicht um andere Probleme zu kümmern. Man kann sich ja auch um mehrere Sachen gleichzeitig kümmern, das eine schließt das andere ja nicht aus.
Nur weil ich (als Beispiel) 150 kg wiege und kein Geld habe, bedeutet es deswegen noch lange nicht, dass ich während dem Sparen nicht auch gleichzeitig etwas abnehmen kann.
Die Geschlechter werden, ja, auch in Deutschland, leider immer noch oft sehr unterschiedlich und unterschiedlich gut behandelt. Dass Frauen beispielsweise im Schnitt weniger verdienen und auch andersweitig teils schlechter behandelt werden ist ja wohl jedem bekannt.
Aber auch anders herum haben Männer zum Beispiel eine höhere Suizidrate, weil uns von klein auf eingetrichtert wurde, "stark" sein zu müssen und niemals was Negatives zu äußern.
Mehr Feminismus/ Gleichbehandlung würde jedem gut tun.
Außerdem, gepusht oder aufgezwungen wird hier nichts. Das wird nur oft von populistischen Parteien behauptet, um sich durch Hass auf Randgruppen Wählerstimmen zu holen.
Hast du 1984 gelesen? Das wäre, abgesehen von der tollen Story, sehr passend. Nicht wegen der Dystopie oder blöden Vergleiche, nein. Eher wegen der Kernaussage "Wer die Sprache kontrolliert, kontrolliert die Weltsicht." Da hatte der Autor recht. In dem Fall im Buch wurde die Sprache zweckentfremdet, um eine Diktatur zu erschaffen.
Oder, weiteres Beispiel, Framing. Ein guter Redner, egal, ob Politiker, Pfarrer, wer auch immer, schafft es auch, nur durch die Sprache, die Zuhörerschaft von etwas zu überzeugen und bestimmte Bilder im Kopf zu schaffen.
In dem Fall hier kann man das aber auch im positiven Kontext gebrauchen.
Durch Gendern erzeugt man primär eine Dissonanz zwischen Bezeichnung und Geschlecht. Dadurch macht man sie "genderneutraler". Das sollte aber mMn nur eine Übergangslösung sein, ich finde das Gendersternchen ehrlich gesagt auch etwas unpraktisch.
Langfristig sollte die Sprache aber inhärent genderneutral sein, außer, es ist für den konkreten Fall notwendig.
Anstatt also "Krankenschwester" (jetzt) oder "Krankenpfleger:in" (mit Gendersternchen) zu sagen, könnte man sie auch "Krankenpflegekraft" bezeichnen.
Und wenn man eine bestimmte Person meint, sagt man "die weibliche Pflegekraft mit den tollen blauen Augen".
Besonders für Kinder, deren Weltbild sich noch formt, ist bspw. eine genderneutrale Bezeichnung von Jobs ziemlich wichtig, um mehr Gleichheit in den Stellenmarkt zu bekommen. Oder, um eine glücklichere Partnerschaft zu führen, in der jede Person den Part macht, den sie am besten kann, nicht das, was sich laut Rollenbild gehört.
Man muss unbedingt zwischen "Gender" (der Geschlechtsidentität) und dem "Sex" (engl. für biologische Geschlecht) unterscheiden.
Das eine ist wissenschaftlich biologisch nachweisbar, das andere höchstens durch einen Psychologen.
Die Geschlechtsidentität war schon immer divers. Auch schon vor tausenden Jahren gab es Berichte über Trans-, Nonbinär- oder Wasauchimmer-Identitäten. Es es gab nur oft kein Wort dafür, und andere Begleitgründe wie das Christentum/ Mittelalter haben dabei auch nicht gerade geholfen.
Dass sich Leute mit ihrem angeborenen biologischen Geschlecht nicht ganz identifizieren können ist also nichts ungesundes oder unnatürliches. Sowas zu akzeptieren hilft den Betroffenen einfach ihr Leben zu Leben.
Zudem finde ich, dass diese überemotionale Reaktion und Aufmerksamkeit von vielen Leuten und Parteien absolut ungerechtfertigt und überproportional ist. Das Thema ist im Alltag kaum relevant und wenn man dann doch mal eine Person antrifft, die davon betroffen ist, reicht es meistens vollkommen aus, sie zu respektieren und einfach kein Arschloch zu sein.
Egal ob Kopftuchträger, Trans-Person, oder wer auch immer. Sich über solche Strohmänner aufzuregen, ohne dass es irgendetwas mit einem zu tun hat, kostet nur Nerven und Lebenszeit.
Es wird oft von populistischen Parteien gemacht, um sich selbst besser darzustellen und von echten Problemen abzulenken.
Siehe 2.
Das Gendern ist noch recht neu, und man muss halt verschiedene Möglichkeiten durchprobieren. Manche sind vielleicht Mist, manche dafür super.
Wenn man sich selbst sicher ist, wird das einen auch nicht verwirren.
Kinder haben von sich aus erstmals eine genderneutrale Sicht. Die Differenzierung kommt erst später.
Niemand spricht davon, dass die jetzige Ordnung komplett aufgehoben werden muss. Es geht eher darum, Geschlecht und Sexualität zu einem Sekundärmerkmal zu machen, das den Alltag nicht benachteiligen soll.
Mehr Aufklärung führt zu mehr (Selbst-)Akzeptanz und Selbsterkenntnis, nicht zu mehr Verwirrung (wobei die Verwirrung vielleicht ein Anfangssymptom sein kann, das sich wieder löst).
Herauszufinden, dass die eigene Sexualität kein Makel oder "Ich bin kaputt"-sein, sondern etwas ganz normales, was viele andere haben, ist unfassbar befreiend.
Identität ist bei vielen ein Spektrum, oft gibt es kein 100% Mann oder 100% Frau. Und das ist auch okay so.
Keypoints:
Nur mal so, Psychologie ist auch eine Wissenschaft. Das "andere" würde man also ebenso wissenschaftlich nachweisen.
Absolut! Das wollte ich damit auch überhaupt nicht implizieren.
Leider stelle ich mir den wissenschaftlichen Nachweis der Identität deutlich schwieriger vor als den von Chromosomen.
Das eine muss man mündlich machen und ist sehr induviduell, während man Gene sequenzieren und eindeutig, schwarz auf weiß, im Labor nachweisen kann.
Zwei Psychologen können bei der gleichen Person zwei unterschiedliche Diagnosen stellen, ein Labor aber arbeitet reproduzierbar.
Trotzdem sind psychologische Studien natürlich zu 100% genauso Wissenschaft und ebenfalls valide, das will ich damit nicht sagen.
Ich bin nur eine absolute Laborratte und liebe harte Fakten (Elektrophoresespektren, Antikörpertests, usw.), die ich in vielen psychologischen Tests eher nicht finden kann. Man kann ja in keinen Kopf hineinsehen.
Bitte korrigier mich und erklär mir, worin ich falsch liege. Würde mich sehr interessieren! :)
Es geht nicht um richtig oder falsch, sondern den Eindruck, den manch Wortwahl vermittelt. Denn weder der Fortschritt der jeweiligen Wissenschaft, ihre Hürden, die Qualität ihrer Pflege, noch der Stand der Technik ändern etwas an deren Gleichstellung zu anderen Wissenschaften. Darauf folgt nämlich so Unsinn, wie z.B. die Behauptung im anderen Kommentar, dass Psychologie keine empirische Wissenschaft sei.
Geistes- bzw. Sozialwissenschaften können ja wenig dafür, dass sie viel mehr mit Voreingenommenheiten des Menschen und größeren Einschränkungen kämpfen müssen.